23.06.2009

9. Sitzung - Genre- und Autorentheorie


Ein Überblick über die US-amerikanische Filmgeschichte bis in die 50er Jahre ermöglicht uns einen Einblick in die Funktionsweise des Klassischen Hollywood, das nach 1948 in eine erste Krise geriet. Nachdem in diesem Jahr das Studiosystem mit dem Monopol über alle drei Bereiche der Filmindustrie (Produktion, Distribution und Vorführung) per Gerichtsbeschluss zerschlagen wurde, führten weitere Aspekte wie Suburbanisierung und der Aufstieg des Fernsehens als neues Massenmedium zu einem Umbruch in der US-Filmindustrie.

In Europa entfachten währenddessen Debatten um die in den 50er Jahren in Frankreich entstandene Autorentheorie. Nach der deutschen Besetzung und dem damit verbundenen Importverbot amerikanischer Filme, kam nun eine Welle von Hollywoodfilmen nach Frankreich und verursachte eine neue Form der intensiven Auseinandersetzung mit dem US-Film. Alexandre Astruc (*1923), Francois Truffaut (1932-84) und andere entwickelten v.a. in den Cahiers du Cinéma die Idee vom kino als persönlicher Ausdruck des Künstlers. In Großbritannien und USA griffen Kritiker wie Andrew Sarris (*1928) die Ideen auf und hinterfragten gleichzeitig die Rolle des Regisseurs als zentraler Künstler. Insgesamt konnte sich die eher rückschrittliche, romantisierte Vorstellung vom Künslter, der sich in seinem Werk selbst verwirklicht, nicht durchsetzen, die auführlichen Debatten führten jedoch u.a. zur Entstehung der Genretheorie in den USA der 70er Jahre.



Barry Keith Grant definiert das Genre als "categories of kinds or types of artistic or cultural artifacts with certain elements in common", als Elemente nennt er "subject matter, theme, narrative and stylistic conventions, character types, plots, and iconography". Das größte Problem bei Genredefinitionen ist, dass verschiedene Genres nach unterschiedlichen Kriterien bestimmt werden. Z.B. lässt sich der Western eher nach dem Setting oder narrativen Elementen definieren, der Horrorfilm hingegen nach der beabsichtigten Wirkung auf den Zuschauer. Außerdem sind Genrefilme nie reine Genrefilme, sondern Mischungen aus verschiedenen Genres und ihren Elementen.
Während Genrefilme in der Studioära dazu dienlich waren, einfach und schnell Filme zu produzieren, die den Erwartungen des Publikums (die wiederum mit typischen Genreelementen und immer wieder auftauchenden Schauspielern) entsprachen, gilt es heute, Konventionen der Genres zu brechen oder Genres bewusst zu vermischen.


The Great Train Robbery (Edwin S. Porter, USA 1903) gilt als der erste Western

In Bezug auf Science Fiction stellen wir fest, dass es vermutlich dasjenige Genre ist, dass am meisten auf die Verknüpfung mit anderen angewiesen ist. Je nachdem, wie weit oder eng der Begriff gefasst wird, ist es schwieriger, einheitliche Elemente zu finden. Was Science Fiction ist, lässt sich wohl am besten mit Damon Knight sagen:
"science fiction is what we point to when we say it."


K

16.06.2009

8. Sitzung - Science Fiction nach "2001"


Als Beispielfilm für ein Science-Fiction-Kino nach "2001" stellt A. Andrej Tarkowskijs 1972 fertiggestellten Film "Solaris" vor. Der in der Sowjetunion entstandene Film kann zum einen als "Antwort" des Ostblocks auf "2001" und dessen Status als ernstzunehmende Meditation unter den Bedingungen des Science-Fiction-Kinos verstanden werden, ist aber zugleich in manchen Dingen auch ein Gegenentwurf. Mit "2001" gemein hat "Solaris", dass er als ästhetisch erhabene Erfahrung konzipiert ist und sich des SF-Genres bedient, um über philosophische Fragestellungen zu reflektieren. Eine der berühmtesten Sequenzen des Films lässt sich jedoch auch als gezielte Gegenrede in Richtung Kubrick verstehen: Die minutenlange, aus Ichperspektive aufgenommene Fahrt durch ein Tokioter Straßentunnelsystem scheint der Stargate-Sequenz in Kubricks Film zwar zu gleichen, wirkt aber sedierend und entmystifizierend: Indem sie durch ihren banalen (und abschreckenden) Gegenstand jegliche utopische und ästhetische Schwellenerfahrung in Abrede stellt, positioniert sie sich antagonistisch zu Kubricks Filmende.

Weitere Auffälligkeiten: Figuren werden häufig aus einer leicht erhöhten Perspektive gefilmt, als würde ihnen damit ihr eigentlicher Ort - die Erde - zugewiesen. Der Weltraum ist in Tarkowskijs Film kein Ort der Möglichkeiten und der Fremderfahrung, vielmehr stellt er eine gähnende Leere dar, der der anthropozentrische Mensch lediglich sich selbst überstülpen will. Indem er ins All zu entfliehen versucht, löst der Mensch sämtliche Bindungen auf der Erde, seinem eigentlichen Ressort.
Im Gegensatz zu Kubricks Menschen, über deren Biografie fast nichts zu erfahren ist, sind die Menschen in "Solaris" geradewegs vollgesogen mit Erinnerungen, über die sie melancholisch und schwermütig sinnieren.


T

7. Sitzung - Science Fiction vor "2001"


Für die Auseinandersetzung mit filmischer Science Fiction vor "2001" hat W. zahlreiche Materialien vorbereitet. In der gemeinsamen Sichtung von Filmausschnitten konturiert sich dabei das Genre in allgemeinen Zügen: Neben dem Motiv der Reise oder der Queste tritt auch filmästhetisch deutlich hervor, dass Science Fiction nicht so sehr ein Genre über Konflikte von in sozialen Relationen zueinander stehenden Subjekten, sondern vor allem ein objektbezogenes Genre ist, das sich in seinen verschiedenen Ausformungen und Konzeptionen mit dem Verhältnis des Menschen zu Technik und Technologie befasst und dabei spekulative Extrapolationen vornimmt. Fast allen Science-Fiction-Filmen eignet dabei die Verhandlung einer Differenz- und Alteritätserfahrung. Je nach Ambition des jeweiligen Films verhält sich dieser seriös-prognostizistisch (z.B. "Things to Come") oder naiv-"magisch" (z.B. "Flash Gordon"). Damit ist denn auch eine Grundierung des Genres erfasst, derer sich auch "2001" bedient.



Ästhetisch herrscht im Science-Fiction-Kino vor "2001" die Tendenz zur Kulisse vor. Spezialeffekte sind als solche ausgestellt und in ihrer Gemachtheit deutlich erkennbar.
In der kurzen, sich anschließenden Diskussion befassen wir uns vor allem mit dem pathetisch-utopischen Charakter von "2001" im Hinblick auf das vorangegangene und nachgekommene Genrekino. Die "Schubkraft" des SF-Kinos - hinaus ins All! - ist in "2001", wenngleich in deutlich abgeschwächter Form, noch immer spürbar, fehlt den folgenden Filmen aber fast völlig. Beispielhafte Filme wie "Soylent Green", "THX 1138" und "Logan's Run" befassen sich eher mit inneren Konflikten einer Gesellschaft, den Blick hinaus ins All wagt kaum mehr eine Produktion. Wir deuten dies nicht nur als Reaktion auf die erfolgreiche Mondlandung im Jahr 1969, sondern auch als Antwort auf die inneren sozialen Konflikte, die in den westlichen Industrienationen seit den späten 60er Jahren auftreten und ihre Spur auch in benachbarten Genres, wie etwa dem Horrorfilm, hinterlassen haben.


T