08.01.2010

9. Sitzung - Die Odyssee


Bereits im Titel 2001: A Space Odyssey ist Homers Epos enthalten - aber was hat der kryptische Film über ein eher langwieriges Weltraumabenteuer mit dem Schicksal des griechischen Helden nach der Eroberung Trojas zu tun?
Mehrere Verweise und eher vage Parallelen lassen sich aufdecken: der Name Bowman verweist auf den Wettbewerb, bei dem sich Odysseus nach seiner Rückkehr auf Ithaka als nach wie vor bester Bogenschütze erweist und sich damit den sein Haus belagernden Freiern als Hausherr zu erkennen gibt, bevor er sie alle umbringt. Eine Parallele zum IX. Gesang erkennen wir in der Abschaltung HALs: wie Polyphem wird das einäugige Monster hier in seiner eigenen Höhle geblendet und damit entmachtet: auch HAL wird nicht gänzlich ausgeschaltet (was der Ermordung Polyphems gleichkäme), sondern lediglich auf seine basalen Steuerfunktionen reduziert. Auch lässt sich das Requiem von György Ligeti, das jedesmal beim Erscheinen des Monolithen zu hören ist, als entfernte Homage an den verlockenden Sirenengesang deuten, der dem Zuhörer sämtliches Wissen über die Welt vermittelt, so wie der Monlith die Menschenaffen zum Werkzeuggebrauch zu animieren scheint.





















Herbert James Draper: Odysseus und die Sirenen


Auch narrative Parallelen lassen sich herstellen, wenn auch eher schleppend: der Auszug in eine ferne Welt verbindet Bowman und Odysseus, wobei beide mit eine (Raum-)Schiff durch eine riesige, unbekannte Einöde (Meer, Weltall) reisen. Beide sind lange Zeit unterwegs, allerdings wartet auf Bowman keine fromm webende Frau in der Heimat. Außer seinen Eltern, die in einer recht aussagearmen Videobotschaft auftauchen, scheint Bowman niemanden zu haben, zu dem er sich zurückzukehren sehnte. Er muss im Weltall den Kampf gegen HAL bestehen, der sich als eine Art trojanisches Pferd gegen die Besatzung im Inneren des Raumschiffs wendet, deren Leben er eigentlich erhalten und nicht auslöschen soll. Die Astronauten sind in der "Discovery" eingesperrt wie Priamos' Volk innerhalb der uneinnehmbaren Mauern Trojas. Allerdings hinkt auch dieser Vergleich, zumal Bowman als Odysseus-Pendant dafür auf der falschen Seite kämpft.
In jedem Fall löst die Odyssee im Titel zahlreiche Assoziationen aus - auf einer populären Ebene kennt kaum jemand die konkrete Geschichte von Odysseus, mit der Odyssee verbinden allerdigns die Meisten eine abenteuerliche Irrfahrt. So funktioniert die Odyssee für 2001 als wirksames Marketinginstrument, das zudem nicht besonders in die Irre führt, da in der Tat eine Art Irrfahrt präsentiert wird.


K

17.12.2009

8. Sitzung - Heldentum und Initiation


Auf der Basis von Joseph Campbells The Hero with a Thousand Faces beschäftigen wir uns mit Topoi des Heldentums und mit Stadien der Initiation. Campbells "Monomythos" (ein Begriff, den er von James Joyce übernommen hat) beschreibt die immer wiederkehrende Grundstruktur der Heldensage, die seiner Ansicht nach Urängste und psychische Zustände der Menschheit widerspiegeln und sich deshalb überall auf der Welt in Sagen und Mythen finden lassen. Die Reise des Helden besteht aus drei Teilen: Aufbruch, Prüfungen und Wiederkehr. Der Held muss in eine andere Welt ausziehen, wo er initiiert wird und ein besonderes Wissen oder einen wertvollen Gegenstand erlangt. Bei seiner Rückkehr nützt dieses Wissen bzw. der Gegenstand seiner heimischen Gesellschaft, wenn es ihm gelingt, das Wissen einzugliedern bzw. weiterzugeben.

























http://hookedongrace.wordpress.com/2008/02/06/1096/


P. stellt uns neben den Monomythos auch dessen Einfluss v.a. auf Hollywoods Drehbücher vor, deren prominentestes Beispiel wohl George Lucas' Star Wars ist. Aus Arthur C. Clarkes Tagebuch geht hervor, dass Kubrick ihm The Hero with a Thousand Faces 1964 zur Lektüre gegeben hat, während die am Drehbuch zu 2001 arbeiteten. Trotzdem lässt sich der Monomtyhos hier nicht direkt wiedererkennen - vielmehr werden mehrere ineinander geschachtelte Monomythen auf mehreren Ebenen erzählt:
1. Die gesamte Menschheit bekommt den Ruf in der "Dawn of Man"-Sequenz, zieht in das Weltall als fremdartigen, lebensfeindlichen Raum aus, wo ein besonderes Wissen auf dem Jupiter gefunden werden und anschließend auf die Erde zurückgebracht werden soll.
2. Die Crew der "Discovery" ist der Protagonist, der in den Weltraum auszieht, um eine Mission zu erfüllen. Alle Besatzungsmitglieder außer Bowman scheitern, dieser überquert die Schwelle in der "Stargate"-Sequenz und gelangt so in die fremdartige Traumwelt im Hotelzimmer, wo er zum "Star Child" wird, das als erleuchetes Wesen wieder zur Erde zurückkehrt.
3. Bowman ist der durch den Tod Pooles berufene Held, der auf eine Minireise im Pod außerhalb der "Discovery" zieht und anschließend erfolgreich den Gegenspieler HAL besiegt, indem er durch eine List in die "Drachenhöhle" eintritt und den Computer ausschaltet.


K

11.12.2009

7. Sitzung - Nietzsches Übermensch


Nietzsches Konzept des Übermenschen zieht sich durch mehrere seiner Werke, wobei es nirgends eindeutig erörtert wird und mehrere Widersprüche aufweist. Entsprechend gestaltet es sich schwierig, Parallelen zu finden - die Musikuntermalung ("Also sprach Zarathustra") und zahlreiche Nietzsche heranziehende Interpretationsversuche lassen eine Verbindung zwischen Nietzsches Philosophie und 2001 vermuten.
Kommt der Monolith wie Zarathustra auf die Erde herab, um die Menschheit auf ihre nächste Stufe vorzubereiten? Ist das scheinbar aus Bowman emergierte Star Child auf dieser höheren Entwicklungsstufe angesiedelt? Ist der Übermensch vielmehr in der Technik zu sehen - in HAL, der den menschlichen Besatzungsmitgliedern überlegen scheint? Er vereint in sich die Erkenntnisse und die Inteligenz der menschlichen Kultur, aber er ist frei von jeglichen Schuldgefühlen.
Geht man davon aus, dass auch der Monolith ein gefertigtes Ding ist und kein Lebewesen, erscheint HAL als dessen Vorgänger: er verhält sich zum Monolithen als Technik so, wie der Menschenaffe Moonwatcher zum Astronauten David Bowman. Allerdings sind beide nicht aus sich selbst heraus entstanden, wie der Übermensch sich über die Schwächen der Menschen erhebt, sondern HAL ist von Menschen gebaut. Macht gerade das seine Überlegenheit aus, dass er über seinen Schöpfer hinauswächst, wie der Übermensch über den christlichen Gott? Sidn wir alle bereits Übermenschen, da wir uns seit mehreren Jahrhunderten von Religion distanzieren und jeweils unsere eigenen, individuellen Wertesysteme aufstellen?


K

04.12.2009

6. Sitzung - Der Mythos vom ersten Mord


Auf der Grundlage der Lektüre (H. Böhme: "Von Affen und Menschen. Zur Urgeschichte des Mordes") beschäftigen wir und mit dem Mord als anthropologische Konstante. Wie auch in 2001 gezeigt, ist Gewalt der Technik inhärent: können die Menschenaffen Knochen als Werkzeuge benutzen, beginnen sie, damit andere Tiere zur Nahrung, zur Abwehr und bald auch zu Zwecken der territorialen Konrtolle zu töten.
Bereits in der Bibel taucht der erste Mord auf: Nachdem Jahwe das Fleischopfer Abels, aber nicht das Getreideopfer Kains annimmt, erschlägt er den ersteren. Als Repräsentanten zweier rivalisierender Kulturen (Hirte und Ackerbauer) stehen sie hier am Beginn der innerartlichen Tötung.
Bei Freud geschieht der erste Mord aus sexueller Konkurrenz: das in dieser Hinsicht überlegene alpha-Männchen wird ermordet, woraufhin die empfundenen Schuldgefühle dazu führen, dass der Getötete fortan als Gott verehrt wird. Das Exogamiegebot hilft, in Zukunft Paarungskonflikte zu vermeiden, so dass nun lediglich Stammesfremde als Konkurrenz in Frage kommen. Im Opfermord wird Gewalt ritualisiert, die kathartische Wirkung trägt fortan zur Prävention von Gewalt bei.















In 2001 findet sich der vermutlich sauberste Mord der Filmgeschichte: die an HAL angeschlossenen, sich im Tiefschlaf befindlichen Besatzungsmitglieder werden von HAL einfach abgeschaltet, wie eine Maschine. Wir sehen keinen Todeskampf, kein Blut, der Tod wird lediglich durch die flatline markiert. Das vollends in die Maschine eingebettete Menschenleben endet wie das einer Maschine.


K

25.11.2009

5. Sitzung - Mensch und Technik


Werkzeuggebrauch spielt eine zentrale Rolle in der Entstehung und Entwicklung der menschlichen Kultur. Im ersten Teil von 2001, "The Dawn of Man", zeigt uns Kubrick den ersten Werkzeuggebrauch durch Menschenaffen, die entdecken, dass ein Knochen als Waffe benutzt werden kann und sich so gegen rivalisierende Tierherden am Wasserloch durchsetzen und zudem ihr dürftiges Nahrungsangebot durch Fleisch ergänzen können. Die wohl berühmteste Ellipse der Filgmeschichte, Knochen - Raumschiff, versetzt uns mehrere Millionen Jahre weiter, an den Höhepunkt technischer Entwicklung: Die Menschheit ist regelmäßig im Weltall unterwegs, es gibt Kolonien auf dem Mond und eine Reise zum Jupiter mithilfe eines intelligenten Supercomputers steht an.


















Die Technik bildet hier eine zweite Natur, einen künstlich geschaffenen Lebensraum, der den Lebensraum Erde in einer vollends lebensfeindlichen Umgebung, im Weltall, rekonstruiert. Die Astronauten leben im Inneren der spermiumförmigen "Discovery" unter Einwirkung künstlicher Schwerkraft, ein Teil von ihnen in künstlichem Schlaf, das Raumschiff wird von einem küstlichen Besatzungsmitglied, das mit überlegener Intelligenz und scheinbareren Emotionen ausgestattet ist, gesteuert. Die Technik ermöglicht hier das Überleben der Menschen im All, während sie sich immer mehr von der ursprünglichen Natur (Lebensraum Erde) entfernen und entfremden.


K

20.11.2009

4. Situzng - Raumfahrt & Computer


Auf der Grundlage der Lektüre befassen wir uns mit der Möglichkeit künstlicher Intelligenz und eines HAL-ähnlichen Supercomputers. HAL lässt sich besonders auf die Euphorie der 60er Jahre zurückführen, die aus der rasanten aktuellen technischen Entwicklung auf die zukünftige schloss und deshalb die computertechnischen Möglichkeiten im Jahr 2001 auf einem nach heutigem Verständnis utopischen Niveau ansetzte.















Bezüglich der Dartellung von Raumfahrt lässt sich feststellen, dass sie auf besonders realistische Weise erfolgt. Im Gegensatz zu den Science Fiction-Filmen der 50er Jahre und der Zeit nach Star Wars, zeigt sich in 2001 ein realistischer - kein Science Fiction-typischer magischer - Technikbegriff. Das Leben der Astronauten an Bord ist langweilig und eintönig: Sie schreiben Zahlen auf Papier, drücken Knöpfe und warten elektronische Geräte. Sie jagen keine invasionsfreudigen, menschenähnlichen Außerirdischen (oder werden von ihnen gejagt), landen nicht auf fremden Planeten, wo sie ihre Flagge aufstellen und erst jetzt berechnen, dass der Treibstoff nicht für die Rückfahrt aller reicht. Bis auf eine seltsame Schwäche, die allerdings der Plotentwicklung dient (Bowman vergisst, beim Herausgehen seinen Helm aufzusetzen, was für einen routinierten Raumfahrer selbst in Stresssituationen eher unwahrscheinlich ist), scheint das entworfene Bild von Raumfahrt konsistent.


K

12.11.2009

3. Sitzung - Special Effects


Nach einer "Close Reading"-Sichtung von 2001: A Space Odyssey in den ersten beiden Sitzungen, wenden wir uns den Spizialeffekten zu.
D. führt uns in die von Kubrick und seiner Crew verwendeten, aufwendigen Tricktechniken ein: die begehbare Zentrifuge, die für die Aufnahmen des Innenraums der Discovery gebaut wurde; die speziell Entwickelte und immer noch mehr oder minder im Dunkeln liegende Technik, mit der die "Star Gate"-Sequenz erzeugt wurde; die zahlreichen, detaillierten Modelle, die in slow motion aufgenommen wurden; die Frontprojektion, die täuschend echte Aufhnahmen afrikanischer Landschaften in einem englischen Studio ermöglichte uvm.



















Fast zwei Jahre wurden den Spezialeffekten in 2001 gewidmet, die Kubrick mit besonderer Akribie erzeugt haben wollte. Nicht zuletzt wegen der atemberaubend überzeugenden Darstellung der Raumfahrt, entstand das Gerücht, Kubrick habe ein Jahr nach Erscheinen von 2001 die fiktive Mondlandung für die US-Regierung inszeniert. Ebenso musste er sich wegen der realistischen Darstellung in Dr. Strangelove or: How I Learned to Stop Worrying and Love the Bomb gegen (1964) gegen Vorwürfe von Spionage wehren.


K